Europapolitiker Link für eine „offene und wehrhafte EU“
Vaihingen (dh) In knapp vier Monaten stehen Gemeinderäte, Kreistage und das Europaparlament zur Wahl. Insofern war am Freitagabend weniger das große Publikumsinteresse am Jahresauftakt des FDP-Ortsverbandes Vaihingen-Sachsenheim im gut gefüllten Löwensaal der Vaihinger Stadthalle bemerkenswert, sondern die bunte Mischung unterschiedlicher Altersgruppen, die in der späteren Diskussion eine große Vielfalt an Fragestellungen mit sich brachte. Roland Zitzmann, Vorsitzender des FDP-Ortsverbandes, berichtete von den Planungen, die auf Hochtouren laufen. „Für den Vaihinger Gemeinderat haben wir bereits ausreichend viele Kandidatinnen und Kandidaten, um die Liste zu füllen. Die Liste für beide Kreistagswahlbezirke bekommen wir ebenfalls mühelos voll“, sagte Zitzmann. In Sachsenheim, wo die FDP erstmals mit einer Liste antrete, sei er ebenfalls guter Dinge. „In Groß- und Kleinsachsenheim tun wir uns etwas leichter, aber auch im Kirbachtal laufen gute Gespräche“, erläuterte Zitzmann ehe er das Wort dem europapolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Link, übergab.
Link, der von Anfang 2012 bis Ende 2013 unter Außenminister Guido Westerwelle Staatsminister im Auswärtigen Amt und von 2014 bis 2017 als OSZE-Direktor für demokratische Institutionen und Menschenrechtetätig war, begann seinen Vortrag mit einer ernüchternden Analyse der gegenwärtigen Weltpolitik. „Entgegen aller Hoffnung, die wir nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren hatten, müssen wir heute erkennen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit global inzwischen wieder auf dem Rückzug sind“, mahnte Link. Hinzu komme eine russische Politik, deren durchsichtiges Bestreben es sei, den Westen zu spalten, und mit Donald Trump ein amerikanischer Präsident, der ein internationales Abkommen nach dem anderen aufkündige. Zwar sei das transatlantische Bündnis nach wie vor intakt, analysierte Link, „das Maß an Geschlossenheit und Verbindlichkeit, das wir in den vorigen Jahrzehnte hatten, vermissen wir aber aktuell.“
Die FDP werbe in ihrem jüngst beschlossenen Europawahlprogramm daher für eine europäische Armee. Was 1998 mit dem St. Malo-Prozess und dem Aufbau eines gemeinsamen Truppen-Pools der Mitglieds- und Partnerstaaten für Militäreinsätze der EU begonnen habe, müssen in den kommenden 20 Jahren konsequent in Richtung gemeinsamer Streitkräfte mit einer einheitlichen Kommandostruktur und einem gemeinsamen Beschaffungswesen weiterentwickelt werden. Es gehe dabei gerade nicht darum, durch massive Aufrüstung eine neueRüstungsspirale in Gang zu setzen. „Ich halte überhaupt nichts von der Auffassung, wir müssten Russland durch einen neuen Rüstungswettlauf abermals seine wirtschaftlichen Grenzen aufzeigen“, sagte der studierte Übersetzer für Russisch und Französisch. Wer aber russische Zeitungen lese oder russisches Fernsehen schaue, der erkenne schnell, dass der Westen darin als schwach, zersplittert und moralisch verkommen dargestellt werde. „Russland bleibt ein wichtiger Partner für uns Europäer, aber eben ein Partner, dem wir permanent verdeutlichen müssen, dass wir mit einer Stimme sprechen und keine Spalterei von außen akzeptieren“, sagte Link. Mit einem losen Verbund aus 27 nationalen Armeen, 27 nationalen Luftwaffen und 18 nationalen Marinen, die zum Teil noch nicht einmal über kompatible Kommunikationstechnik verfügten, ernte die EU in Moskauoder Peking jedoch keinen großen Respekt als wehrhafte Wertegemeinschaft.
Mehr Konsequenz bei der Verteidigung der eigenen Werte befürwortet Link auch innerhalb der EU. Antidemokratische Entwicklungen wie in Ungarn oder Polen dürften die EU-Kommission und die übrigen Mitgliedsstaaten nicht unbeantwortet lassen. Der Freie Demokrat sieht durchaus Mittel, um eine Rückkehr zu den europäischen Werten einzufordern. „Diese EU-Mitglieder wollen ja auch etwas von uns. Bald beginnen die Verhandlungen über die europäische Agrarförderung im mehrjährigen Finanzrahmen 2020 bis 2027. Spätestens dann werden Polen und Ungarn sich wieder daran erinnern, dass die EU keine Einbahnstraße ist“, prophezeite Link.
Nationale Alleingänge beenden müsse jedoch auch Deutschland selbst. „Wir müssen uns auch einmal selbst an die Nase fassen, wenn wir anderen vorwerfen, Verträge nicht einzuhalten“, forderte Link. Es sei Deutschland gewesen, das jahrelang die Stabilitätskriterien von Maastricht gebrochen hat. Es sei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gewesen, die in der Flüchtlingskrise ungeordnet und ohne Abstimmung mit den Nachbarn die Grenze geöffnet hat. Und es sei Deutschland unter Frau Merkels Führung, das bei der Energiewende einen Alleingang nach dem anderen unternehme, ohne dies mit den von den Folgen betroffenen Nachbarländern oder über den Europäischen Emissionshandel zu koordinieren. All dies habe, vor allem bei kleineren Partnern, erhebliches Vertrauen gekostet.
Eine gemeinsame Haltung sei auch beim Brexit geboten, forderte Link. Die EU habe Großbritannien acht verschiedeneModelle für die Beziehungen nach dem Austritt des Vereinten Königreichs angeboten - vom norwegischen Modell einer Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum mit enger politischer Anbindung an die EU bis hin zum „Modell Kanada“, das ein Freihandels- und Zollabkommen mit der EUbedeutet hätte. Nichts davon sei den Briten recht gewesen, weswegen nun ein ungeordneter Brexit im März drohe. Eine Verlängerung kommt aus Links Sicht jedoch nicht mehr in Frage, weil dies die EU-27 hinsichtlich des unverrückbaren Europawahltermins im Mai in eine juristische und demokratische Krise stürzen würde. Einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen sei die künftige EU-Außengrenze zwischen dem britischen Nordirland und der Irischen Republik. Nicht wenige in London denken nach Links Beobachtungen noch immer, die EU werde in letzter Minute akzeptieren, ihr Mitglied Irland außerhalb der eigenen Außengrenze zu sehen. „Wenn die Briten allerdings denken, wir würden Irland im Stich lassen oder gewissermaßen für einen Deal mit London verkaufen, dann irren sie sichgewaltig.“ In dieser Frage stünden die EU-27 felsenfest zusammen, berichtete Link.